Freitag, 3. Mai 2013

Panorama 3. 5. 2013


Zwischenspiel zu Vektorräumen und Basen


Existiert eigentlich zu jedem Vektorraum eine Basis? Und was heißt dabei „existiert“? Im ersten Semester wurde vielleicht berichtet (oder gar mit Hilfe des Zornschen Lemmas bewiesen?), dass das so sei, vielleicht aber mit einer Warnung. Auf jeden Fall wissen wir, dass das für endlich erzeugte gilt, und ein mögliches Argument dafür lässt sich auf unendliche Indexmengen verallgemeinern, sofern diese wohlgeordnet sind.

Proposition. Es sei $V$ ein Vektorraum, $I$ eine wohlgeordnete Indexmenge und $(v_i)_{i\in I}$ ein Erzeugendensystem von $V$.  Dann ist mit $J:=\left\{j\in I\colon v_j\notin\mathrm{span}\{v_i\colon i<j\}\right\}$ das Teilsystem $(v_j)_{j\in J}$ eine Basis von $V$.

Beweis. Die lineare Unabhängigkeit von $(v_j)_{j\in J}$ ist leicht zu sehen. Um zu sehen, dass $(v_j)_{j\in J}$ immer noch Erzeugendensystem ist, zeigen wir für alle $i\in I$ per Induktion (über die Wohlordnung $I$, vergleichen Sie die ausführlichere Formulierung aus der Vorlesung!), dass $v_i\in\mathrm{span}\{v_j\colon j\in J,\ j\le i\}$. Für $i\in J$ ist das klar. Ist $i\notin J$, so ist $v_i\in\mathrm{span}\{v_k\colon k<i\}$. Per Induktion gilt für $k<i$, dass $v_k\in\mathrm{span}\{v_j\colon j\in J,\ j\le k\}$.  Es folgt die Behauptung.

Übung. Zeigen Sie an einem Beispiel, dass die Aussage scheitern kann, wenn $I$ eine totale Ordnung trägt, die keine Wohlordnung ist.

Ein interessantes Beispiel ist die Frage, ob $\mathbb R$ als $\mathbb Q$-Vektorraum aufgefasst eine Basis hat, und wie eine solche aussehen würde.

Da für jeden Vektorraum die Menge aller Vektoren (mit sich selbst indiziert) ein Erzeugendensystem ist, können wir festhalten:

Proposition. Existiert eine Wohlordnung auf $\mathbb R$, so hat $\mathbb R$ eine $\mathbb Q$-Basis.

Und wir wissen auch, dass eine solche Basis überabzählbar sein muss.

Proposition. $\mathbb R$ hat keine abzählbare $\mathbb Q$-Basis.

In der Tat gilt:

Proposition. Ist $V$ ein Vektorraum über einem abzählbaren Körper $K$, und sind $v_n\in V$, $n\in\mathbb N$ Vektoren, so ist die Menge $\mathrm{span}\{v_n\colon n\in\mathbb N\}$ abzählbar.

Was für Konsequenzen hat aber die Existenz einer $\mathbb Q$-Basis von $\mathbb R$?  Zum Beispiel die folgende.

Proposition. Hat $\mathbb R$ eine $\mathbb Q$-Basis, so existiert eine unstetige Abbildung $f\colon\mathbb R\to\mathbb R$ mit $f(x+y)=f(x)+f(y)$ für alle $x,y\in\mathbb R$.

Konstruktion. Man definiert zu einer gegebenen Basis eine $\mathbb Q$-lineare Abbildung $f\colon\mathbb R\to\mathbb R$, indem man jedes Basiselement auf $1$ abbildet. Das Bild dieser Abbildung ist $\mathbb Q$, sie kann also nicht stetig sein, da sonst der Zwischenwertsatz verletzt würde.

Ein weiterer scheinbar einfacher Vektorraum ist für einen beliebigen Körper $K$ der Raum $K^{\mathbb N}$ aller $K$-Folgen. Da dieser nie abzählbar ist (es ist ja schon $\left|\{0,1\}^{\mathbb N}\right|>|\mathbb N|$), folgt aus obigem, dass er für abzählbares $K$ keine abzählbare Basis hat.  Dies ist in der Tat auch für einen beliebigen Körper $K$ richtig. Ein Diagonalargument, das das zeigt, haben wir vorbereitet und als Übungsaufgabe gelassen. Einige Hinweise dazu gebe ich hier noch einmal in einem gesonderten Eintrag.


Der Wohlordnungssatz und das Auswahlaxiom


Wir sehen, dass die Existenz von Wohlordnungen interessante Auswirkungen hat. Cantor hat als Prinzip angenommen, dass jede Menge wohlgeordnet werden kann. Klarer wurde die Situation mit Ernst Zermelos Arbeit „Beweis, daß jede Menge wohlgeordnet werden kann.“ aus dem Jahr 1904. Darin beweist er folgendes.

Satz. Es sei $M$ eine Menge und $\gamma\colon\mathcal P(M)\setminus\{Ø\}\to M$ eine Funktion mit $\gamma(S)\in S$ für alle $S$. Dann existiert genau eine Wohlordnung auf $M$, für die $a=\gamma\left(M\setminus M_{<a}\right)$ für alle $a\in M$ gilt.

Dabei ist wie zuvor $M_{<a}=\{x\in M\colon x\lt a\}$.

Übung. Angenommen $M=\mathbb N$ und $\gamma(\{0\})=0$, $\gamma(S)=\mathrm{min}(S\setminus\{0\})$ sonst. Wie sieht dann die zugehörige Wohlordnung aus?

Insbesondere existiert also überhaupt eine Wohlordnung auf $M$, sofern eine solche Auswahlfunktion existiert, die jeder nicht-leeren Teilmenge von $M$ eines ihrer Elemente zuordnet. Zermelo schreibt, diese Aussage ließe sich nicht auf einfachere zurückführen, werde aber auch anderswo in der Mathematik frei angewandt.  Wir nennen Sie heute das Auswahlaxiom (Axiom of Choice):

AC. Ist $\mathfrak S$ eine Menge von nicht-leeren Mengen, so existiert eine Funktion $f\colon \mathfrak S\to\bigcup\mathfrak S$ mit $f(S)\in S$ für alle $S\in\mathfrak S$.

Eine Konsequenz des Auswahlaxioms ist also der Wohlordnungssatz, der besagt, dass auf jeder Menge eine Wohlordnung existiert. Damit ist mit obigem der Basisexistenzsatz, der besagt, dass jeder Vektorraum eine Basis hat, eine weitere. Mit weiteren Konsequenzen dieses Axioms werden wir uns in der Folge beschäftigen.

Übung. Andererseits folgt in der Situation des Auswahlaxioms aus der Existenz einer Wohlordnung auf $\bigcup\mathfrak S$ leicht die Existenz der Auswahlfunktion $f$. Wie?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen